Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Neuengamme wurde am 4. Mai 2025 in der KZ-Gedenkstätte ein neues Bodendenkmal der Öffentlichkeit übergeben – als bedeutende Erweiterung des Internationalen Mahnmals von 1965. MERA wurde von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte mit der Gestaltung, Abstimmung und Umsetzung dieses sensiblen Erinnerungsprojekts beauftragt. Gemeinsam mit der Agentur 2erpack Identity und dem Betonfertigteilspezialisten Gödde-Beton entstand ein präzise durchdachtes Zeichen gelebter Erinnerungskultur.
Das neue Ländergedenkzeichen besteht aus einer kreisrunden Betonscheibe mit drei Metern Durchmesser, installiert am Eingangsbereich des Mahnmals. In spiralförmiger Anordnung und alphabetischer Reihenfolge sind auf ihr die Namen von 70 heutigen Staaten lesbar – Länder, in denen die Geburtsorte jener Menschen liegen, die im Konzentrationslager Neuengamme ihr Leben verloren. Die Namen erscheinen in den jeweiligen Landessprachen und Schriften, bewusst ohne Rangfolge oder Wertung – ein stilles, aber eindrückliches Symbol für Vielfalt, Menschlichkeit und Gedenken.

Eine komplexe Entstehungsgeschichte
Angestoßen wurde die Überarbeitung des Internationalen Mahnmals in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme durch die berechtigte Kritik ukrainischer Vertreter*innen am bisherigen Denkmal-Ensemble. Zwar ist dort ein Gedenkstein mit der Aufschrift „CCCP“ enthalten, doch die Ukraine als eigenständiger Staat blieb unberücksichtigt. Diese Kritik betraf auch weitere Nachfolgestaaten der Sowjetunion (UdSSR) sowie Länder des ehemaligen Warschauer Pakts.
Zunächst war von Seiten der Gedenkstätte eine vergleichsweise schlichte Ergänzung des Mahnmals angedacht – in Form zusätzlicher Gedenkplatten im bisherigen Stil. Doch Rückmeldungen außerhalb des internen Entscheidungsgremiums machten deutlich: Eine bloße Erweiterung reichte nicht aus. Es bedurfte eines international abgestimmten Prozesses, um eine angemessene Form des Gedenkens zu finden. Historiker*innen, Angehörige ehemaliger Häftlinge und Vertreter*innen von Erinnerungsinitiativen sollten eingebunden werden, um eine tragfähige, gemeinschaftlich getragene Lösung zu entwickeln.
Im Anschluss wurde ein international besetztes Beratungsgremium einberufen und durch einen öffentlichen Workshop zur Erinnerungskultur begleitet. Im Zentrum stand nicht nur die Frage, wie man die Nachfolgestaaten der UdSSR angemessen berücksichtigt. Vielmehr ging es darum, ein neues Gedenkzeichen zu schaffen, das die Gleichwertigkeit aller betroffenen Nationen sichtbar macht – jener 70 Länder, in denen Menschen geboren wurden, die später im Konzentrationslager Neuengamme inhaftiert waren.
Die gefundene Lösung musste dabei gestalterisch überzeugen, technisch umsetzbar sein und sich zugleich respektvoll und zurückhaltend in das bestehende Mahnmal-Ensemble einfügen.
Gestaltung im Dialog
„Die Idee der spiralförmigen, alphabetischen Anordnung in Landessprache und Originalschrift entstand nicht in einem gestalterischen Sprint, sondern in einem gemeinsamen Ringen um eine ausgewogene Lösung, die keine Nation hervorhebt oder bevorzugt“, sagt Johannes Hügle, Geschäftsführer der MERA GmbH. „Die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung endete nicht mit den Geschäftszeiten. Die Aufgabe, eine Form des Gedenkens im öffentlichen Raum zu finden, die nicht dominiert, sondern einlädt – und in der sich Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund wiederfinden können – hat viele der Beteiligten auch im privaten Alltag beschäftigt. Letztendlich soll genau dort das Erinnern stattfinden: ganz privat und individuell.“
Das international besetzte Gremium entschied sich schließlich für die Idee einer massiven, zugleich schlichten Betonscheibe als Bodendenkmal – ein reduziertes, aber wirkungsvolles Element der Erinnerungskultur, das sich unaufdringlich in das bestehende Mahnmal-Ensemble einfügt.
Da das bisherige Internationale Mahnmal von 1965 unter Denkmalschutz steht, war das Denkmalschutzamt als zuständige Fachbehörde der Stadt Hamburg involviert. Auch dort fand der finale Entwurf Zustimmung. Für die anspruchsvolle Typografie, Detailgestaltung und visuelle Ausarbeitung der Vielzahl an Ländernamen holte MERA die Hamburger Agentur 2erpack Identity an Bord.
Herstellung mit höchstem Anspruch
Für die Fertigung des massiven Solitärbauteils des späteren Ländergedenkzeichens wurde die Firma Gödde-Beton GmbH aus Wadersloh, NRW beauftragt.
Fotos Produktion: Gödde-Beton GmbH
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Das Ländergedenkzeichen spricht an – schon in der Produktion
Bereits während der Produktion der Betonscheibe hätten sich Mitarbeitende des Betonwerks sehr interessiert an den Schriftintarsien gezeigt und versucht entweder eigene Herkunftsländer in der Inschrift zu finden oder die fremden Schriftzeichen zu entziffern.
Das Ziel der gewählten Gestaltung wurde hier bereits spürbar: Das Denkmal spricht an, weckt Neugier und lädt zur Auseinandersetzung mit der Bedeutung ein.
Logistische Feinarbeit: Die Anlieferung der Betonscheibe
Die Anlieferung der 4,3 Tonnen schweren Betonscheibe war auch logistisch eine anspruchsvolle Aufgabe – und wurde bereits in der Produktion mitgedacht. Spezielle Gurtaussparungen im Boden der Scheibe sicherten den späteren Transport. Für das letzte Wegstück zum Mahnmal – organisiert vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb Joachim Ehmcke & Söhne aus Börnsen – wurden die Wege mit Gummi- und Stahlplatten ausgelegt, um den Untergrund zu schützen.
Die Scheibe wurde freihängend am Baggerarm transportiert und auf ein vorbereitetes Fundament gesetzt – millimetergenau.

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Ein Denkmal, das Fragen stellt – und verbindet
Die ukrainische Generalkonsulin Dr. Iryna Tybinka berichtete anlässlich der feierlichen Einweihung des Ländergedenkzeichens am 4. Mai 2025 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von ihrer anfänglichen Irritation, als sie die Skizze des neuen Bodendenkmals zum ersten Mal sah. Doch mit der Auseinandersetzung wuchs das Verständnis: Es ging nicht allein darum, fehlende Nationalstaaten wie die Ukraine sichtbar zu machen – sondern um ein vielschichtiges, gemeinsames Erinnern über nationale Grenzen hinweg.
Nicht Nationalität oder Opferzahlen stehen im Fokus der Gestaltung, sondern jedes einzelne Leben. Die reduzierte Formensprache des Gedenkzeichens wurde so zur Brücke der Verständigung – und zur Einladung, das Erinnern individuell und universell zugleich zu denken.
Rückblick auf eine besondere Aufgabe
„MERA dankt allen Beteiligten für diese außerordentliche, bereichernde Zusammenarbeit – und insbesondere auch der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, dass wir ein weiteres Mal ein so wichtiges Projekt umsetzen durften,“ rekapituliert Johannes Hügle. „Für uns war die Planung, Begleitung und Umsetzung dieses Denkmals, das keine Antworten vorgibt, aber Raum lässt – für Erinnerung, Auseinandersetzung und ganz individuelles Gedenken – eine große Verantwortung und Ehre.“