Johannes Hügle, Geschäftsführer von MERA, berichtet im Gespräch über den Entstehungs-Prozess des Entwurfs für das neue Ländergedenkzeichen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die Aufgabe, das Internationale Mahnmal von 1965 – das an die Ermordung von über 42.000 Menschen erinnert – zu erweitern, war eine erinnerungspolitische Gratwanderung. MERA Landschaftsarchitektur war verantwortlich für Entwurf und Umsetzung.
Johannes, wie kam MERA zu diesem Projekt?
„Unser Büro (damals noch MSB) zeichnete bereits im Rahmen der Wiederherstellung des Schutzhaftlagers, der Gefangenbaracken und des Appellplatzes für die Gestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (siehe >> Projekt Neuengamme) verantwortlich. Seitdem unterstützen wir die KZ-Gedenkstätte bei Unterhalt und Weiterentwicklung des Geländes. Als das Projekt zur Erweiterung des Internationalen Mahnmals konkret wurde, sind wir direkt angefragt worden.“
Was war die größte Herausforderung?
„Die lag sicherlich in der Vielschichtigkeit der Aufgabenstellung. Es ging nicht um Formgebung im klassischen Sinn. Schließlich gab es ja bereits das bestehende Internationale Mahnmal mit seinem denkmalgeschützten Ensemble von Ländergedenkplatten. Ein erster Entwurf, der lediglich eine Ergänzung mit weiteren Ländergedenkplatten vorsah, wurde – vor allem von internationalen Vertreter*innen – sehr ambivalent aufgenommen. Daraus wurde deutlich: Die neue Lösung musste umfassender und sensibler gedacht werden. Sie sollte sich in das bestehende Ensemble einfügen, ohne es zu überschreiben. Gleichzeitig sollte sie die Vielfalt der Opfer sichtbar machen, ohne Hierarchien. Es galt, viele Anforderungen zu vereinen und dabei eine Form zu finden, die eigenständig, anschlussfähig und allgemein verständlich ist.“
Wie entstand die Idee mit der kreisrunden Betonscheibe?
„Als schließlich feststand, dass es um 70 Ländernamen gehen würde, war klar: Eine lineare Erweiterung war ausgeschlossen. Die Kreisform entstand im dialogischen Prozess.
Der Kreis – eine Form ohne Anfang und Ende – eignet sich für ein Denkmal, das keine Richtung vorgibt.
Eine Form, die von allen Seiten betrachtet gleichwertig ist. Die spiralförmige, alphabetische Anordnung in Landessprache war dann eine logische Konsequenz, um alle Ländernamen darzustellen.“
Wie ging es weiter in der Ausgestaltung und Umsetzung?
„Für die typografische Gestaltung haben wir unsere langjährige Partneragentur 2erpack Identity ins Boot geholt. Technisch und typografisch war die Aufgabe, nicht zuletzt wegen der fremden Schriftzeichen, wirklich anspruchsvoll.
Für die Herstellung der Betonscheibe war sofort klar: Das muss Gödde-Beton übernehmen. Wir haben in der Vergangenheit sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Die sind führend in Deutschland, wenn es um hochqualitative Betonfertigteile geht – gerade mit Inschriften.“
Gab es Kritik an der Gestaltung?
„Ja. Gerade von Vertreter*innen der Ukraine, die überhaupt erst die Erweiterung des Internationalen Mahnmals angestoßen hatten. Die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg hat dies in ihrer Rede anlässlich der Einweihung des Ländergedenkzeichens ganz offen zugegeben: Sie sei zunächst sehr irritiert und skeptisch gewesen, als sie den Entwurf zum ersten Mal sah.

Sie beschrieb für die Zuhörer*innen ganz transparent ihren eigenen Annäherungsprozess. Wie sie von quasi Ablehnung zur Überzeugung gelangte, dass jedes einzelne Leben Gegenstand des Gedenkens sein muss. Und dass dieses Ländergedenkzeichen, wie es nun realisiert wurde, genau das abbildet. Es sei eine im wahrsten Sinne des Wortes runde Lösung, die für alle da ist. Das war wirklich beeindruckend.“
Wie blickst Du heute auf das Projekt?
„Technisch gesehen war diese Mahnmalerweiterung nicht das komplexeste Projekt, das wir je umgesetzt haben. Aber sicherlich eine der bislang sensibelsten Aufgaben in unserer Bürogeschichte. Es zeigt: Gestaltung braucht Haltung – und manchmal auch Zurückhaltung.“